Vergewaltigt, Blatt 2 aus dem Zyklus »Bauernkrieg«, 1907/08
Strichätzung, Kaltnadel, Schmirgel, Reservage und Vernis mou mit Durchdruck von Stoff und Zieglerschem Umdruckpapier, Kn 101 V a
Auch die zweite Station in der Bilderzählung dient dazu in einer emotionalen Steigerung, dem Betrachter die Notwendigkeit für eine Veränderung der Verhältnisse zu verdeutlichen. Die Bauern sind recht- und schutzlos und somit jeglicher Willkür ausgeliefert. Dies veranschaulicht das zweite Blatt des Zyklus auf drastische Weise. Es zeigt eine in ihrem verwüsteten Garten liegende vergewaltigte Bäuerin. Ihre kleine Tochter schaut über den Gartenzaunauf ihre getötete Mutter. Auffallend bei der Behandlung des Themas, das sich um 1900 nur selten in der bildenden Kunst findet, sind die schonungslose Darstellung des Opfers und die genaue Wiedergabe des Gartens. Die niedergetrampelten Pflanzen stehen symbolisch für das zerstörte Leben der Frau.
Nun ist wirklich alles Leben zum Erliegen gekommen. Rücksichtslos berauben die Lehnsherren die Bauern und ihre Frauen der menschlichen Würde und hinterlassen Tod und Zerstörung. Das muss unausweichlich Empörung beim Betrachter hervorrufen. Beeindruckend ist dabei die Tatsache, dass Käthe Kollwitz als Frau im konservativen Kaiserreich den Mut und das Selbstbewusstsein hat, ein solches Motiv in dieser Art umzusetzen.
Eine erst vor kurzem aufgetauchte frühe Kompositionsskizze, die Zeichnung NT (443a), behandelt das Thema viel erzählerischer. Vor der getöteten Bauersfrau stehen ihre beiden Töchter. Die ältere schaut durch die Öffnung einer eingeschlagenen, schief in den Angeln hängenden Tür ins Innere des Hauses, während die Jüngere sich ängstlich an ihre Schwester drückt und entsetzt auf ihre Mutter blickt.
Wie schon bei den »Pflügern« konzentriert sich Käthe Kollwitz bei der endgültigen Fassung auf die Hauptfigur und rückt sie ins Zentrum der Darstellung.
Käthe Kollwitz, Überfallen, Ideenskizze zu »Vergewaltigt«, um 1901/02, Bleistift auf Bütten, NT (443a)