Holzschnitt, Kn 165 VII a
Dass ihre Cousine Else Rautenberg 1920 Suizid begeht, ist für Käthe Kollwitz »das traurigste Vorkommnis« jenes Jahres – so eine Notiz in ihren Tagebüchern. Ihre Auseinandersetzung damit schlägt sich 1921 im Holzschnitt »Tod mit Frau im Schoß« nieder.
Die Deutung des Todes wird in dieser Arbeit um einen im bisherigen Werk der Künstlerin gänzlich neuen Aspekt erweitert: Der Tod ist hier nicht der, der vernichtend Leben an sich reißt, sondern der jenem Zuflucht und Obhut schenkt, der – vielleicht nach schwerem Kampf und Ringen – bei ihm angekommen ist.
In seinen weiten Umhang gehüllt, darf die Frau in seinem Schoß zur Ruhe kommen. Mit ernstem, gütigem Gesicht neigt er sein Haupt fast zärtlich zu ihr. Sie ruht an seiner Brust, ihr geöffneter Mund ist Ausdruck endgültigen Ausatmens. Vom Loslassen-Dürfen zeugen auch die am linken Bildrand abgestellten Holzschuhe, sie lassen sich als Zeichen für das Zurücklassen weltlicher Lasten deuten.
Eine filigrane Dornenkrone liegt vor den Hockenden am Boden, ein Symbol des Leides aus der christlichen Ikonografie. Käthe Kollwitz überträgt das Sinnbild auf das abgelegte Leid des Lebens, aus dem der Tod die Frau erlöst:
Das hab ich mir so gedacht,
dass der Tod die Frau sanft zu sich nimmt.
Dabei bleibt der Dornenkranz unten liegen.
Oder auch, er legt sie sanft hin,
immer aber trägt sie nicht mehr die Dornen«
Käthe Kollwitz, in: Beate Bonus Jeep, Sechzig Jahre Freundschaft mit Käthe Kollwitz
Die eindringlichen Kohle- und Kreidezeichnungen sind Entwurfsvarianten, mit denen sich die Künstlerin der finalen Fassung nähert.
Käthe Kollwitz, Der Tod nimmt eine Frau zu sich, 1921, Kohle und schwarze Kreide auf Ingres-Papier, NT 883
Käthe Kollwitz, Der Tod nimmt eine Frau zu sich, 1921, Schwarze Kreide auf blauem Bütten, NT 884
Käthe Kollwitz, Der Tod nimmt eine Frau zu sich, 1921/1922, Kohle, schwarze und braune Kreide, gewischt auf olivbraunem Bütten, NT 885