Ich erlebte, dass neben leiblichem Kummer, leiblicher Not,
die Not des Menschen besteht, der unter den Gesetzen des Lebens steht. Trennung, Tod sind Begleiterscheinungen jeden Lebens.
Goethe spricht vom ›Erzklang des Lebens‹.«
Käthe Kollwitz, aus: Beate Bonus-Jeep, Sechzig Jahre Freundschaft mit Käthe Kollwitz
Käthe Kollwitz wird in der Arztpraxis ihres Mannes im Berliner Arbeiterbezirk Prenzlauer Berg nahezu täglich mit den existenziellen Sorgen der Arbeiterfamilien konfrontiert. Die hohe Kindersterblichkeit und überhaupt die prekäre Situation der Kinder des Großstadtproletariats thematisiert sie unter anderem in ihren Zeichnungen für die satirische Wochenzeitschrift Simplicissimus. Die teilweise dramatische Verbildlichung der Ängste und Nöte proletarischer Frauen kann als Ausdruck eines intensiven Empfindens der Künstlerin für die Schwere und Tragik des Lebens verstanden werden.
Als persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema Abschied und Tod nach Erlebnissen im engsten familiären Umfeld gelten die nach 1908 entstanden Zeichnungen - Werke, die sich besonders eindringlich in ihrem Œuvre niederschlagen: Die Diphterie-Erkrankung des älteren Sohnes Hans im Jahr 1908 führt zu einer ganzen Reihe von Arbeiten, die Zeugnisse von eigenen starken Verlustängsten sind. Sie nehmen bereits vorweg, was die Künstlerin später, nach dem Tod des jüngeren Sohnes Peters als Kriegsfreiwilliger 1914, tatsächlich erleben muss. Auch mit dem Freitod ihrer Cousine Else Rautenberg 1920 setzt sie sich in ihrer Arbeit - in Form des Holzschnitts »Tod mit Frau im Schoß« - intensiv auseinander.
Im Jahr 1923 veröffentlicht Käthe Kollwitz unter dem Titel »Abschied und Tod« eine Mappe mit Reproduktionen von acht Zeichnungen. In diesem Zusammenhang erwähnt die Künstlerin erstmals, noch eine Folge von Druckgraphiken zu diesem Thema machen zu wollen - ein Vorhaben, das sie 1937 mit der Folge »Tod« zum Abschluss bringen wird.
In den letzten Lebensjahren ist es zudem der Abschied von ihr nahestehenden Bekannten, Künstlerkollegen und Familienmitgliedern – allen voran ihrem Mann Karl - der sich in ihrem Schaffen niederschlägt.
Käthe Kollwitz, Abschied, 1910, Kohle, gewischt, auf Ingres-Bütten, NT 616
Käthe Kollwitz, Tod, Frau und Kind, 1910, Strichätzung, Kaltnadel, Schmirgel sowie Vernis mou mit Durchdruck von Bütten und Zieglerschem Umdruckpapier, Kn 108 XIII
Käthe Kollwitz, Tod mit Frau im Schoß, 1920/21, Holzschnitt, Kn 165
Käthe Kollwitz, Tod und Jüngling, aufschwebend, um 1922/23, Schwarze Kreide, gewischt auf Zeichenpapier, NT 963
Käthe Kollwitz, Abschied und Tod, 1923, Kreidelithographie (Umdruck), Kn 200
Käthe Kollwitz, Die Klage, 1938-41, Bronze, Seeler 38 I.B.3.
Käthe Kollwitz, Abschied, 1940/41, Bronze, Seeler 39 I.B.1.
Käthe Kollwitz, Selbstbildnis mit Karl Kollwitz, 1938-1940, Kreide, gewischt, auf gelblichem Ingres-Bütten, NT 1276