Gedenkblatt für Karl Liebknecht, Dritte endgültige Fassung, 1920
Holzschnitt, Kn 159 VI a
Auf Bitten seiner Witwe zeichnet Käthe Kollwitz den ermordeten KPD-Politiker Karl Liebknecht in der Morgue, dem Leichenschauhaus Berlins, am Morgen des 25. Januars 1919. Es ist der Tag der Bestattung Liebknechts und 31 weiterer Toter des Januaraufstandes.
Beeindruckt davon, wie sich die Beerdigung zu einer Massendemonstration ausweitet, gestaltet die Künstlerin das Gedenkblatt für den Führer der KPD als Totenklage. Ende März notiert sie dazu in ihr Tagebuch: »Ich arbeite an der ›Totenfeier‹. Unter den Händen ist sie allmählich ein Abschied von Liebknecht geworden.« Die endgültige Ausführung entnimmt sie der christlichen Ikonographie und lehnt sich kompositorisch an den Bildtypus der ›Beweinung Christi‹ an.
Die Suche nach dem passenden Ausdruck für dieses Blatt endet nach ersten Versuchen als Radierung und Lithographie schließlich beim Holzschnitt. Es ist die zweite Arbeit überhaupt, die die über 50jährige Künstlerin in dieser Technik fertigt.
Vergleicht man Radierung, Lithographie und Holzschnitt, so zeigt sich, dass von der in ihrer Linienführung wesentlich differenzierter aufgefassten Radierung die kompositorische Gestaltung des Blattes über das Medium der Lithographie bis hin zum Holzschnitt an Konzentration und Intensität des Ausdrucks gewinnt. Im Holzschnitt dominiert der Kontrast zwischen den kompakten, dunklen Flächen der Gewänder im Vordergrund mit den scharf gesetzten, weißen Linien der Arbeiterköpfe. Damit erreicht die Künstlerin eine Stimmung würdevoller, stiller Trauer.
Politisch sich von Liebknecht distanzierend erklärt die Künstlerin zu dieser Arbeit:
Ich hab als Künstler das Recht, aus allem den Gefühlsgehalt herauszuziehen, auf mich wirken zu lassen und nach außen zu stellen. So hab ich auch das Recht, den Abschied der Arbeiterschaft von Liebknecht darzustellen, ja den Arbeitern zu dedizieren, ohne dabei politisch Liebknecht zu folgen. Oder nicht?!«
Käthe Kollwitz, Tagebücher, Oktober 1920
Käthe Kollwitz, Gedenkblatt für Karl Liebknecht, Verworfene erste Fassung, 1919, Strichätzung, Aquatinta, Schmirgel, Reservage und Vernis mou mit Durchdruck von Bütten, Kn 145 V
Käthe Kollwitz, Gedenkblatt für Karl Liebknecht, Verworfene zweite Fassung, 1919, Kreidelithographie (Umdruck von der Zeichnung NT 779 auf geripptem Bütten), Kn 146